(Letztes Update: 15.06.2016)
Was ist Glyphosat?
Glyphosat ist ein Wirkstoff, der breiten Einsatz in Pflanzenschutzmitteln findet. Auf Glyphosat basierende Pflanzenschutzmittel (d.h. Formulierungen, die Glyphosat und weitere chemische Stoffe enthalten) werden in Landwirtschaft und Gartenbau vor allem zur Bekämpfung von Unkräutern verwendet, die mit Kulturpflanzen konkurrieren. Die Ausbringung erfolgt in der Regel vor der Aussaat und zur Trocknung vor der Ernte, was die Pflanzen schneller und gleichmäßiger reifen lässt.
Worum dreht sich die derzeitige Diskussion?
Die Zulassung von Glyphosat läuft in der EU zum 30.06.2016 aus. (Sie lief ursprünglich zum 31.12.2015 aus, wurde aber um sechs Monate verlängert, um ausreichend Zeit für eine umfassende und gründliche Neubewertung des Wirkstoffes zu haben). Diskutiert wird derzeit über die Neuzulassung von Glyphosat in der EU.
Wie lange wäre eine solche Neuzulassung gültig?
Die Erneuerung einer Zulassung für Glyphosat wäre laut EU-Recht für maximal 15 Jahre möglich. In den derzeitigen Diskussionen schlägt die Europäische Kommission jedoch eine Erneuerung der Zulassung für einen kürzeren Zeitraum vor: Sie hat vorgeschlagen, die Zulassung von Glyphosat vorläufig um weitere 12 bis 18 Monate zu verlängern. Bis dahin soll ein Gutachten der europäischen Chemikalienagentur ECHA zu dem Wirkstoff vorliegen. Der Kommissionsentwurf berücksichtigt sowohl die Wünsche der Mitgliedstaaten nach den vergangenen Sitzungen des zuständigen PAFF-Ausschusses (s.u.) als auch die Resolution des Europäischen Parlaments zum Thema Glyphosat von Mitte April.
Was passiert, wenn es nach einer Zulassung oder Neuzulassung von Stoffen in der EU neue wissenschaftliche Erkenntnisse gibt?
Die Zulassung von Wirkstoffen kann jederzeit überprüft werden, sobald es Hinweise darauf gibt, dass ein Wirkstoff nicht mehr sicher ist. Beispielsweise hat die EU 2013 angesichts neuer wissenschaftlicher und fachlicher Erkenntnisse über ein hohes akutes Risiko für Bienen die Nutzung der Wirkstoffe Clothianidin, Thiamethoxam und Imidacloprid eingeschränkt, siehe hier.
Wie funktioniert das Zulassungsverfahren auf EU-Ebene?
Die Prüfung eines Wirkstoffes in der EU erfolgt gemeinschaftlich unter Beteiligung aller Mitgliedstaaten, der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) und der Europäischen Kommission. Die Bewertung zu einem Antrag wird dabei zunächst von einem Mitgliedstaat als "Berichterstatter" (Rapporteur Member State, RMS) durchgeführt, der einen umfassenden Bewertungsbericht erstellt. Im Falle der Neuzulassung von Glyphosat ist dies Deutschland. Die deutschen Behörden haben ihren Bericht im Dezember 2013 an die EFSA übermittelt.
Die anderen Mitgliedstaaten und die EFSA prüfen und kommentieren diesen Bewertungsbericht im Rahmen des "peer review". Im Zuge der EFSA-Prüfung in Sachen Glyphosat fand neben der detaillierten Konsultation mit allen EU-Staaten auch eine 60tägige öffentliche Konsultation statt. Die EFSA verlangte zudem zusätzliche Informationen vom Hersteller des Wirkstoffs, Monsanto.
Mit einbezogen in die Glyphosat-Bewertung hat die EFSA auf Ersuchen der Europäischen Kommission natürlich auch die Ergebnisse der Internationalen Krebsforschungsagentur (IARC), die Glyphosat ebenfalls untersucht hat (mehr Informationen s.u.).
Basierend auf ihrer Prüfung erstellt die EFSA abschließend einen zusammenfassenden Bericht (EFSA Conclusion), der die Grundlage für die Abstimmung der Experten der EU-Mitgliedstaaten und der Entscheidung der Europäischen Kommission über die Genehmigung eines Wirkstoffes bildet. Den Bericht zum Wirkstoff Glyphosat vom November 2015 und weitere Informationen können Sie hier einsehen.
Über eine Neuzulassung des Wirkstoffs stimmen die Experten der EU-Mitgliedstaaten im zuständigen Ausschuss für Pflanzen, Tiere, Lebens- und Futtermittel (Standing Committee on Plants, Animals, Food and Feed, PAFF Comittee) ab. Auf Basis dieser Abstimmung erfolgt dann die Genehmigung eines Wirkstoffes in der EU durch die Europäische Kommission, die Voraussetzung für seine Zulassung in Pflanzenschutzmitteln.
Das heißt: Gibt es unter den Mitgliedstaaten eine qualifzierte Mehrheit für die Erneuerung der Zulassung bzw. eine qualifizierte Mehrheit gegen die Erneuerung der Zulassung (auch nach möglicher Einbringung eines geänderten Kommissionsvorschlags), folgt die Kommission diesem Votum. Wird in keine Richtung eine qualifzierte Mehrheit erreicht, hat der Ausschuss "keine Meinung" abgegeben. Eine qualifizierte Mehrheit ist dann erreicht, wenn eine Mehrheit von 55 Prozent der Staaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, für (oder gegen) den Kommissionvorschlag stimmen.
Wird in keine Richtung eine Mehrheit erreicht, wird ein Berufungsausschuss aus Vertretern aller EU-Staaten mit der möglichen Erneuerung der Zulassung befasst.
Im Einzelnen erklärt dies dieses Schaubild auf S. 3.
Wann wird die Entscheidung über die Erneuerung der Zulassung fallen?
Weder bei der Sitzung des zuständigen Ausschusses der Experten aus allen EU-Mitgliedstaaten im März noch bei der Sitzung im Mai gab es die notwendige Mehrheit für oder gegen die Erneuerung der Zulassung von Glyphosat. Bei der letzten Sitzung war zwar eine Mehrheit der EU-Staaten – nämlich 20 von 28 – für den Kommissionsvorschlag, die Zulassung des Wirkstoffes Glyphosat vorläufig um 12 bis 18 Monate zu verlängern, jedoch fehlte die notwendige qualifizierte Mehrheit. Diese ist, wie bereits ausgeführt, dann erreicht, wenn eine Mehrheit von 55 Prozent der Staaten, die mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren, für (oder gegen) den Kommissionvorschlag stimmen.
In einem nächsten Schritt tritt nun am 24. Juni der Berufungsausschuss aus Vertretern aller EU-Staaten zusammen.
Die Kommission muss auf Basis einer Abstimmung der Mitgliedstaaten bis zum 30. Juni 2016 über die Erneuerung der Zulassung entscheiden.
Sollte die EU-Kommission die Neuzulassung von Glyphosat beschließen, haben die EU-Staaten dann 12 Monate Zeit, die auf ihrem Territorium verkauften Pflanzenschutzmittel, die Glyphosat enthalten, neu zu bewerten und ggf. neu zuzulassen.
Können Mitgliedstaaten die Anwendung von Glyphosat auf ihrem Gebiet verbieten, auch wenn der Wirkstoff auf EU-Ebene zugelassen ist?
Ja. Nationale Verbote von Glyphosat-basierten Pflanzenschutzmitteln oder die Einschränkung ihrer Nutzung wären trotz einer Zulassung des Wirkstoffs auf EU-Ebene möglich. Die EU-Staaten müssen sich also nicht hinter der Europäischen Kommission verstecken. (Andersherum gilt aber: Wenn ein Wirkstoff auf EU-Ebene nicht zugelassen ist, dürfen die Mitgliedstaaten eine Nutzung von Glyphosat-basierten Pflanzenschutzmitteln auf ihrem Gebiet nicht erlauben.)
Zu welcher Bewertung gelangten EFSA und Mitgliedstaaten bei der Prüfung von Glyphosat im Rahmen der Peer Review?
Die Peer-Review-Gruppe kam zu dem Schluss, dass Glyphosat wahrscheinlich nicht genotoxisch (d.h. DNA schädigend) ist oder eine krebserregende Bedrohung für den Menschen darstellt. Es wurde nicht empfohlen, Glyphosat als karzinogen gemäß der EU-Verordnung über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von chemischen Stoffen einzustufen.
Insbesondere waren sich die Experten aus den Mitgliedstaaten, mit einer Ausnahme (Schweden), einig, dass weder die epidemiologischen Daten (d.h. solche in Bezug auf den Menschen) noch die Befunde aus Tierstudien einen Kausalzusammenhang zwischen der Glyphosat-Exposition und einer Krebsentstehung beim Menschen aufzeigten.
Auf Ersuchen der Europäischen Kommission berücksichtigte die EFSA auch den von der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC) veröffentlichten Bericht, in dem Glyphosat als wahrscheinlich krebserregend für den Menschen eingestuft wird.
Warum gelangte die IARC zu einem anderen Ergebnis?
Die EU-Bewertung berücksichtigt entsprechend geltendem EU-Recht ausschließlich den Wirkstoff Glyphosat.
Der IARC-Bericht betrachtete sowohl Glyphosat – den Wirkstoff an sich – als auch Glyphosat-basierte Formulierungen, wobei alle Formulierungen unabhängig von ihrer Zusammensetzung zusammengefasst wurden. Dies ist insofern wichtig, als Studien darauf hindeuten, dass bestimmte Glyphosat-basierte Gemische genotoxisch (d.h. DNA schädigend) sein könnten, während andere, die nur den Wirkstoff Glyphosat betrachten, diese Wirkung nicht zeigen.
Es ist daher wahrscheinlich, dass die in einigen glyphosatbasierten Gemischen beobachteten genotoxischen Effekte nicht mit Glyphosat, sondern mit anderen Bestandteilen oder "Beistoffen" im Zusammenhang stehen.
Deshalb empfiehlt die EFSA in ihrer Bewertung, dass die zuständigen Behörden in den Mitgliedstaaten die Toxizität jedes einzelnen Pflanzenschutzmittels, und insbesondere dessen genotoxisches Potenzial, eingehender berücksichtigen.
Denn: In der EU sind die Mitgliedstaaten selbst für die Bewertung von Pflanzenschutzmitteln verantwortlich, die in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet in Verkehr gebracht werden. Das heißt: Pflanzenschutzmittel, die Sie im Laden kaufen können und die Glyphosat und andere sogenannte Beistoffe enthalten, werden auf nationaler Ebene genehmigt. Grund dafür ist, dass die Zulassungsbestimmungen in verschiedenen EU-Staaten unterschiedlich sein können, abhängig von landwirtschaftlichen Praktiken oder Umweltbedingungen. (Ausführlich nachzulesen hier)
Was ist der Unterschied zwischen "Risk" und "Hazard"?
Es gibt einen weiteren wichtigen Unterschied in der Riskobewertung durch IARC und EFSA.
Die IARC betrachtet in ihrer Bewertung das Ausmaß eines möglichen Schadens (Gefährdungspotential, engl. hazard), während die EFSA darüber hinaus die Wahrscheinlichkeit betrachtet, mit der dieser Schaden auftritt – also welches Risiko (risk) dafür besteht. Letzteres ist zum Beispiel abhängig davon, in welchem Maß man einem potentiellen "Hazard" ausgesetzt ist.
"Hazard" umfasst also alles, das potentiell Schaden verursachen kann, während die Riskobewertung zum Ziel hat, das "Risk" einer tatsächlichen Schädigung zu ermitteln. Das Risiko, durch bestimmte Stoffe geschädigt zu werden, kann also gleich null oder nahe null sein, wenn man diesem potentiellen "Hazard" so wenig wie möglich ausgesetzt ist.
Was ist mit gefährlichen "Beistoffen" (z.B. POE-Tallowamine) und Nutzungseinschränkungen für Glyphosat-basierte Pflanzenschutzmittel?
Die Europäische Kommission hat den EU-Staaten drei klare Empfehlungen gemacht:
- Verbot gefährlicher Beistoffe (POE-Tallowamine)
- Minimierung des Einsatzes in öffentlichen Parks, Spielplätzen und Gärten
- Minimierung der Verwendung von Glyphosat vor der Ernte
Die Entscheidung darüber liegt jedoch bei den Mitgliedstaaten.
Zusätzlich hat die Kommission mit der EFSA und Mitgliedsländern die Arbeit aufgenommen, um eine Liste mit Beistoffen zu erstellen, die grundsätzlich in Pflanzenschutzmitteln EU-weit nicht mehr eingesetzt werden dürfen.
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Einzelheiten
- Datum der Veröffentlichung
- 17. Mai 2016
- Autor
- Vertretung in Deutschland