(18.5.2016) Die Rechtsstaatlichkeit ist einer der gemeinsamen Werte, auf die sich die Europäische Union gründet. Sie ist in Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union verankert. Nach den Verträgen ist die Europäische Kommission zusammen mit dem Europäischen Parlament und dem Rat dafür zuständig, die Wahrung der Rechtsstaatlichkeit als eines Grundwerts der Union zu garantieren und für die Achtung des Rechts, der Werte und der Grundsätze der EU zu sorgen.
Die jüngsten Ereignisse in Polen, die insbesondere das Verfassungsgericht betreffen, haben die Europäische Kommission veranlasst, einen Dialog mit der polnischen Regierung aufzunehmen, um die notwendigen Garantien für die uneingeschränkte Wahrung der Rechtsstaatlichkeit zu erhalten. Solange das polnische Verfassungsgericht an einer vollumfänglichen, wirksamen Normenkontrolle gehindert ist, kann eine wirksame Prüfung der Grundrechtkonformität von Rechtsakten nach Auffassung der Kommission nicht stattfinden. Die derzeitigen Bedenken der Europäischen Kommission betreffen folgende Punkte:
- die Ernennung der Richter des Verfassungsgerichts und die Umsetzung der einschlägigen Urteile des Verfassungsgerichts vom 3. und 9. Dezember 2015,
- das Gesetz vom 22. Dezember 2015 zur Änderung des Gesetzes über das Verfassungsgericht, das Urteil des Verfassungsgerichts vom 9. März 2016 in Bezug auf dieses Gesetz und die Missachtung der seit dem 9. März 2016 ergangenen Urteile des Verfassungsgerichts,
- die Wirksamkeit der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit neuer Rechtsvorschriften, die 2016 verabschiedet wurden und in Kraft getreten sind, unter anderem des neuen Mediengesetzes.
Die nächsten Schritte
Der nach dem Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips geführte Dialog zwischen der Kommission und der polnischen Regierung wird fortgesetzt. Für den Fall, dass bis zum 23. Mai keine erheblichen Fortschritte erzielt werden, ist der Erste Vizepräsident vom Kollegium der Kommissionsmitglieder ermächtigt worden, den heute vom Kollegium erörterten Entwurf der Stellungnahme zur Rechtsstaatlichkeit anzunehmen. Wenn die Stellungnahme angenommen und der polnischen Regierung übermittelt worden ist, hat diese zwei Wochen Zeit, sich dazu zu äußern. Die Kommission ist gewillt, den konstruktiven Dialog mit der polnischen Regierung auf der Grundlage ihrer Äußerungen fortzusetzen, um die in der Stellungnahme dargelegten Bedenken einer Lösung zuzuführen. Werden die Bedenken nicht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ausgeräumt, kann die Kommission eine Empfehlung abgeben.
Hintergrund
Im November 2015 erhielt die Kommission Kenntnis von einem laufenden Rechtsstreit in Polen in Bezug auf die Zusammensetzung des Verfassungsgerichts sowie die Verkürzung des Mandats des derzeitigen Präsidenten und Vizepräsidenten des Gerichts. Am 3. und 9. Dezember 2015 ergingen zwei Urteile des Verfassungsgerichts in diesen Angelegenheiten. Darüber hinaus stellte die Kommission fest, dass der Sejm (das polnische Parlament) am 22. Dezember 2015 ein Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Verfassungsgericht verabschiedet hat, das sich auf die Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichts sowie die Unabhängigkeit seiner Richter auswirkt.
Angesichts der Lage beim Verfassungsgericht bat der Erste Vizepräsident die polnische Regierung am 23. Dezember 2015 in einem Schreiben um weitere Informationen über den Sachstand. Darin wurde die polnische Regierung ersucht, die Maßnahmen zu erläutern, die sie in Bezug auf die Urteile des Verfassungsgerichts zu treffen gedenkt.
Zudem empfahl der Erste Vizepräsident der polnischen Regierung, vor Annahme der geplanten Änderungen zum Gesetz über das Verfassungsgericht die Venedig-Kommission zu konsultieren. Die polnische Regierung ersuchte die Venedig-Kommission zwar am 23. Dezember um eine rechtliche Beurteilung, in der Zwischenzeit wurde das Gesetz jedoch am 28. Dezember förmlich verabschiedet.
Am 9. März 2016 entschied das Verfassungsgericht, dass das Gesetz vom 22. Dezember 2015 verfassungswidrig ist. Am 11. März gab die Venedig-Kommission eine Stellungnahme ab, in der sie feststellte, dass die Änderungen vom 22. Dezember nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar sind. Das Urteil vom 9. März und alle seitdem ergangenen Urteile des Verfassungsgerichts sind nicht im Amtsblatt veröffentlicht worden.
Am 13. Januar 2016 hielt das Kollegium der Kommissionsmitglieder eine erste Orientierungsaussprache über die Lage in Bezug auf die Rechtsstaatlichkeit in Polen. Es folgte ein reger Schriftwechsel zwischen der Kommission und der polnischen Regierung. Der Erste Vizepräsident Timmermans besucht am 5. April Warschau und führte konstruktive Gespräche mit einer Reihe von Regierungsvertretern. Seitdem hat bei Treffen auf verschiedenen Ebenen ein reger Austausch zwischen der Kommission und der polnischen Regierung stattgefunden, um eine Lösung für den derzeitigen Dualismus der Rechtsordnungen in Polen zu suchen. Trotz dieses Austausches war es jedoch noch nicht möglich, eine Lösung für die von der Kommission festgestellten Probleme zu finden.
Der – am 11. März 2014 eingeführte – Rahmen zur Stärkung des Rechtsstaatsprinzips umfasst drei Stufen (siehe auch die Abbildung in Anhang 1): Das gesamte Verfahren basiert auf einem kontinuierlichen Dialog zwischen der Kommission und dem betroffenen Mitgliedstaat. Die Kommission informiert das Europäische Parlament und den Rat eingehend und in regelmäßigen Abständen.
- Sachstandsanalyse der Kommission: Die Kommission holt alle relevanten Informationen ein und prüft sie daraufhin, ob es klare Anzeichen für eine systemische Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit gibt. Gelangt die Kommission auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse zu dem Ergebnis, dass in der Tat eine systemische Gefährdung der Rechtsstaatlichkeit vorliegt, tritt sie mit dem betroffenen Mitgliedstaat in einen Dialog, indem sie eine „Stellungnahme zur Rechtsstaatlichkeit“ an den Mitgliedstaat richtet, in der sie ihre Bedenken begründet. Diese Stellungnahme dient als Warnung an den Mitgliedstaat und gibt diesem die Möglichkeit zu reagieren.
- Empfehlung der Kommission: In der zweiten Verfahrensphase kann die Kommission eine „Empfehlung zur Rechtsstaatlichkeit“ an den Mitgliedstaat richten, sofern die Angelegenheit in der Zwischenzeit nicht zufriedenstellend geregelt werden konnte. In diesem Fall setzt die Kommission dem Mitgliedstaat eine Frist, innerhalb deren er die beanstandeten Probleme zu beheben hat, und der Mitgliedstaat informiert die Kommission über die hierzu von ihm unternommenen Schritte. Die Kommission veröffentlicht ihre Empfehlung.
- Follow-up zur Empfehlung der Kommission: Als dritten Schritt verfolgt die Kommission die Maßnahmen, die der Mitgliedstaat auf die Empfehlung hin getroffen hat. Kommt der Mitgliedstaat der Empfehlung innerhalb der gesetzten Frist nicht zufriedenstellend nach, kann die Kommission, das Europäische Parlament oder eine Gruppe von 10 Mitgliedstaaten erwägen, ein Verfahren nach Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union einzuleiten.
Weitere Informationen:
Pressekontakt: reinhard [dot] hoenighausec [dot] europa [dot] eu (Reinhard Hönighaus), Tel.: +49 (30) 2280-2300
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Einzelheiten
- Datum der Veröffentlichung
- 18. Mai 2016
- Autor
- Vertretung in Deutschland