Zum Hauptinhalt
Vertretung in Deutschland
  • Presseartikel
  • 20. September 2017
  • Vertretung in Deutschland
  • Lesedauer: 6 Min

Reform der EU-Finanzaufsicht: Kommission nimmt Fintech und Nachhaltigkeit in den Blick

Mit einer Reform der EU-Aufsichtsstruktur sollen Verbraucher, Anleger und Unternehmen von gefestigten und stärker vernetzten Finanzmärkten profitieren. Die von der Europäischen Kommission heute (Mittwoch) vorgeschlagenen Reformen zielen darauf ab...

picture 1

Nach der Finanzkrise überarbeitete die Europäische Union ihr Finanzsystem und führte ein einheitliches Regelwerk für die Regulierung der Finanzmärkte in Europa ein. Außerdem schuf sie die Europäischen Finanzaufsichtsbehörden (ESAs) sowie den Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB). Diese Einrichtungen sind für die Gewährleistung gut regulierter, starker und stabiler Finanzmärkte in der EU von entscheidender Bedeutung. Allerdings muss noch mehr getan werden, um die Regulierungs- und Aufsichtskonvergenz im Binnenmarkt zu verbessern, damit unsere Finanzmärkte besser funktionieren und neue Herausforderungen bewältigen können.

Valdis Dombrovskis, Vizepräsident der Kommission zuständig für Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und die Kapitalmarktunion, erklärte: „Die Finanzmärkte verändern sich schnell: Wir erleben eine neue grenzüberschreitende Vernetzung, sowie neue Möglichkeiten im Bereich der Finanztechnologien und einen Boom bei nachhaltigen und ,grünen‘ Finanzierungen. Hierbei muss die EU geschlossen auftreten, um ihre Spitzenposition zu behaupten. Eine stärker integrierte Finanzaufsicht wird die Widerstandsfähigkeit der Wirtschafts- und Währungsunion erhöhen. Diese pragmatischen Vorschläge werden grenzüberschreitende Tätigkeiten unserer Unternehmen erleichtern und Verbrauchervertrauen schaffen.“

Jyrki Katainen, Vizepräsident der Kommission zuständig für Arbeitsplätze, Investitionen und Wettbewerbsfähigkeit, erklärte: Wie in der Überprüfung des Aktionsplans zur Kapitalmarktunion angekündigt, unternehmen wir jetzt wichtige Schritte, um das europäische Finanzaufsichtssystem zu stärken. Damit wird sichergestellt, dass das Finanzsystem zur Schaffung von Investitionen, Arbeitsplätzen und Wachstum beiträgt – zum Wohl der europäischen Bürger und Unternehmen.“

Mit den Vorschlägen werden - nach ihrer Verabschiedung - die Mandate, die Lenkungsstruktur und die Finanzierung der europäischen Aufsichtsbehörden für Banken (Europäische Bankenaufsichtsbehörde, EBA), für Wertpapiere und Finanzmärkte (Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde, ESMA) sowie für Versicherungen und Altersversorgung (Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung, EIOPA) verbessert. Um die einheitliche Anwendung der EU-Vorschriften sicherzustellen und eine echte Kapitalmarktunion zu fördern, werden der ESMA zudem direkte Aufsichtsbefugnisse in spezifischen Finanzsektoren übertragen. Schließlich schlägt die Kommission gezielte Änderungen an der Zusammensetzung und Organisation des ESRB vor, der die Risiken für die Stabilität des Finanzsystems als Ganzes überwacht.

Diese Reformen werden die weitere Integration der Kapitalmärkte nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU vorantreiben. Außerdem werden Änderungen der Aufsichtsbeziehungen mit Drittstaaten eingeführt, um eine ordnungsgemäße Steuerung sämtlicher Risiken im Finanzsektor zu gewährleisten.

Kernelemente des Vorschlags

Stärkere EU-weite Koordinierung und Aufsicht

Die ESA werden EU-weite Aufsichtsprioritäten festlegen, die Übereinstimmung der Arbeitsprogramme der einzelnen Aufsichtsbehörden mit den EU-Prioritäten sicherstellen und deren Umsetzung überprüfen. Sie werden die Vorgehensweise der Behörden überwachen, wenn diese Marktakteuren wie Banken, Fondsmanagern und Wertpapierfirmen die Delegierung und Auslagerung geschäftlicher Aufgaben in Drittstaaten gestatten. Damit ist eine ordnungsgemäße Risikosteuerung gewährleistet und ein Umgehen der Vorschriften wird verhindert. Darüber hinaus wird die EIOPA verstärkt die einheitliche Validierung der internen Modelle fördern, die einige große Versicherungsunternehmen für die Berechnung der Solvenzkapitalanforderung verwenden. Dies wird zur Überwindung der Fragmentierung beitragen und eine bessere Beaufsichtigung der großen grenzübergreifenden Versicherungsgruppen gewährleisten. Schließlich wird die Funktionsweise des ESRB effizienter gestaltet, damit dieser die Risiken für das Finanzsystem als Ganzes besser überwachen kann.

Erweiterte direkte Beaufsichtigung der Kapitalmärkte durch die ESMA

Die Kommission schlägt heute vor, der ESMA die direkte Beaufsichtigung bestimmter Kapitalmarktsektoren in der EU zu übertragen:

  • Kapitalmarktdaten: Die ESMA genehmigt die kritischen Referenzwerte der EU und überwacht sie. Zudem billigt sie Nicht-EU-Referenzwerte zur Verwendung in der EU. Damit wird die Beaufsichtigung der Referenzwerte, d.h. der Indices bzw. Indikatoren, die zur Bepreisung von Finanzinstrumenten und Finanzkontrakten und zur Messung der Performance von Investmentfonds verwendet werden, zuverlässiger und vereinheitlicht.
  • Kapitalmarktzugang: Um die Verfahren für Unternehmen, die die Kapitalmärkte der EU nutzen wollen, zu vereinheitlichen und Anreize für Investitionen aus der gesamten EU zu schaffen, genehmigt die ESMA bestimmte EU-Prospekte und alle nach EU-Recht erstellten Nicht-EU-Prospekte. Prospekte enthalten die Informationen, die die Anleger benötigen, bevor sie darüber entscheiden, ob sie in ein Unternehmen investieren.
  • Kapitalmarktakteure: Die ESMA genehmigt bestimmte Investmentfonds mit EU-Label zu und überwacht sie, um einen echten Binnenmarkt für diese Fonds (europäische Risikokapitalfonds, europäische Fonds für soziales Unternehmertum und europäische langfristige Investmentfonds) zu schaffen.
  • Fälle von Marktmissbrauch: Die ESMA wird eine größere Rolle bei der Koordinierung der Untersuchung von Marktmissbrauchsfällen spielen. Sie kann tätig werden, wenn bei bestimmten Aufträgen, Transaktionen oder Verhaltensweisen begründeter Verdacht besteht und diese grenzüberschreitende Auswirkungen oder Auswirkungen auf die Integrität der Finanzmärkte oder die finanzielle Stabilität in der EU haben können.

Verbesserte Lenkungsstruktur und Finanzierung der ESA

Die ESA werden unabhängiger von nationalen Interessen entscheiden. Die im Rahmen der neuen Lenkungsstruktur neu geschaffenen Direktorien mit hauptamtlichen Mitgliedern werden schnellere, einheitlichere und stärker EU-orientierte Entscheidungen zur Folge haben. Zudem werden interessierte Parteien die Kommission um Intervention bitten können, wenn sie mehrheitlich der Ansicht sind, dass die ESA bei Leitlinien oder Empfehlungen ihre Befugnisse überschritten haben. Mit der Reform wird auch die Finanzierung der ESA von den nationalen Aufsichtsbehörden gelöst. Damit wird gewährleistet, dass die ESA eigenständiger und unabhängiger sind. Während ein Teil der Finanzierung der ESA weiter aus EU-Mitteln stammt, wird der verbleibende Teil aus Beiträgen des Finanzsektors finanziert.

Förderung von nachhaltigen Finanzierungen und FinTech

Da die EU stärkere Anstrengungen zur Vollendung der Kapitalmarktunion unternimmt, muss auch die Finanzaufsicht mit den neuen Marktentwicklungen Schritt halten.

  • Die ESA werden nachhaltige Finanzierungen fördern und gleichzeitig die Finanzstabilität gewährleisten. In allen ihren Aufgaben werden sie Faktoren und Risiken Rechnung tragen, die mit den Bereichen Umwelt, Soziales und Governance zusammenhängen.
  • Die ESA werden FinTech Priorität erteilen und nationale Initiativen zur Innovationsförderung und zur Stärkung der Cybersicherheit koordinieren. In allen ihren Aufgaben werden sie dem Aspekt der technologischen Innovation Rechnung tragen.

Hintergrund

Das Europäische Finanzaufsichtssystem besteht aus

  • den drei Europäischen Aufsichtsbehörden (ESA), die die jeweiligen Sektoren und Institutionen beaufsichtigen und ihnen Leitlinien vorgeben;
  • dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken (ESRB), der das gesamte Finanzsystem überwacht und die Politik der EU im Bereich der Finanzstabilität koordiniert.

Die ESA tragen zur Ausarbeitung einheitlicher Rahmenvorschriften für die EU-Finanzmärkte („Einheitliches Regelwerk“) bei. Zudem fördern sie die Aufsichtskonvergenz zwischen den Aufsichtsbehörden sowie den Verbraucher- und Anlegerschutz.

Der Ausbau der Befugnisse der ESA wird in der Halbzeitüberprüfung des Aktionsplans für die Kapitalmarktunion vom Juni 2017 als erste vorrangige Maßnahme genannt. Da die EU die Vollendung der Kapitalmarktunion zu beschleunigen sucht, muss sie sicherstellen, dass die Finanzaufsicht mit der fortschreitenden Integration mithält. Bereits im Bericht der fünf Präsidenten über die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion vom Juni 2015 wurde darauf hingewiesen, dass ein einziges europäisches Aufsichtsgremium für die Kapitalmärkte letztlich unabdingbar sei. Dies wurde auch im Diskussionspapier der Kommission über die Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion vom Mai 2017 unterstrichen. Der vorliegende Vorschlag ist ein erster konkreter Schritt hin zur Schaffung eines einheitlichen Aufsichtsgremiums für die Kapitalmärkte und zur Vollendung der Finanzunion (d.h. der Banken- und der Kapitalmarktunion) bis 2019 – und damit zur Gewährleistung der Integrität des Euro.

Die Vorschläge bauen auf den im Rahmen der öffentlichen Konsultationen der Kommission im Herbst 2016 (ESRB) und im Frühjahr 2017 (ESA) eingegangenen Beiträgen auf. Sie tragen zudem den Empfehlungen des Europäischen Parlaments vom März 2014 und dem Überprüfungsbericht der Kommission vom August 2014 Rechnung.

Die Vorschläge – die grundlegende Verordnung und die anschließenden Änderungen an einer Reihe von sektorspezifischen Richtlinien – werden nun im Europäischen Parlament und im Rat erörtert.

Weitere Informationen:

Q&A (MEMO/17/3322)

Factsheet

Website zum europäischen System der Finanzaufsicht

Pressekontakt: reinhard [dot] hoenighausatec [dot] europa [dot] eu (Reinhard Hönighaus), Tel.: +49 (30) 2280-2300

Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern beantwortet das Team des Besucherzentrums ERLEBNIS EUROPA per frageaterlebnis-europa [dot] eu (E-Mail) oder telefonisch unter (030) 2280 2900.

Einzelheiten

Datum der Veröffentlichung
20. September 2017
Autor
Vertretung in Deutschland