Der russische Angriff auf die Ukraine und die Auswirkungen auf Europa waren heute (Freitag) das zentrale Thema bei einer Veranstaltung der Regionalvertretung der EU-Kommission im Münchner Café Luitpold. Jörg Wojahn, Vertreter der Europäischen Kommission in Deutschland, sieht im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik einen Sinneswandel in der EU: „Viele der Instrumente der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik waren schon da, aber die Mitgliedstaaten wollten sie nicht nutzen. Jetzt ist das Bewusstsein da, jetzt können wir voranschreiten.“ Es müsse sich zeigen, wie die neuen Pläne in dem Bereich umgesetzt würden, sagte Prof. Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung: „Die EU erhebt Anspruch, womöglich eine Militärunion sein zu wollen.“ Die neuen Strategien seien „im Grunde mehr vom Selben, relativ unbestimmte Willensbekundungen. Jetzt kommt es drauf an: wie setzt man es um?“.
Russische Desinformationskampagnen würden auch auf Europa abzielen. „Hauptziel ist nicht, dass wir etwas glauben, sondern, dass wir gar nichts mehr glauben. Deshalb kann man sich da auch selbst widersprechen,“ so Wojahn. „Hauptsache ist: Man soll nicht mehr Wahrheit von Lüge unterscheiden können.“ Ursula Münch verwies auf vorhergehende Desinformationskampagnen, die bestehende Konflikte ausnutzten: „Auch beim Brexit haben russische Desinformationskampagnen eine Rolle gespielt. Auch Wahlen sollen beeinflusst werden.“ Jörg Wojahn kritisierte im Anschluss die öffentliche Aufmerksamkeit für Putins Propagandisten: „Wir haben eine fünfte Kolonne des Kremls mit dem Ziel, tiefes Misstrauen zu schüren. Das müssen wir Europäer entschieden bekämpfen.“
Europäische Klimapolitik sei noch wichtiger geworden, obwohl sich nun einige Zielkonflikte ergeben haben, insbesondere in Deutschland, das stark vom Import russischen Gases abhängt. Das Vorgehen der Bundesregierung begrüßte Kommissionsvertreter Wojahn: „Es ist absolut richtig, dass der deutsche Wirtschafts- und Klimaminister nach Katar fährt, um da LNG zu beschaffen.“ Wojahn verwies allerdings auch darauf, dass diese Partner in die Überlegungen zum Europäischen Green Deal eingebunden werden müssen: „Aber der Minister soll auch mit ihnen darüber reden, was wir in Zukunft gemeinsam machen, wenn wir kein Gas mehr kaufen.“
Die Aufnahme der aus der Ukraine geflüchteten Menschen werde eine große Herausforderung für Europa. Die Kritik an der großen Aufnahmebereitschaft der osteuropäischen Staaten, die im Fall von Menschen aus anderen Regionen nicht so ausgeprägt gewesen sei, teilt Münch nicht: „Die regionalisierte Aufnahme von Flüchtlingen ist logisch, die Kritik ist unfair.“ Am Anfang einer jeden Krise stünde das Chaos. Jörg Wojahn verwies auf seine Gespräche mit Industrievertretern, die eine gute Integration der aus der Ukraine kommenden Menschen erwarten. Diese stimmten ihn zuversichtlich.
Zur Beitrittsperspektive der Ukraine sagte Wojahn: „Die Ukraine ist ein Land, das beitreten kann. Wir werden jetzt das Verfahren abarbeiten. Das heißt nicht, dass sie morgen schon Mitglied sind, aber auch nicht, dass sie kein Mitglied werden können.“ Ursula Münch begrüßte diese Vorgehensweise: „Verfahren haben ihren Sinn. Jetzt davon Abstand zu nehmen, würde die EU unregierbar machen und gegenüber anderen Kandidaten unglaubwürdig. Man darf auch aussprechen: Die Solidarität mit der Ukraine ist nicht bedingungslos.“
Die Veranstaltung war Auftakt einer Reihe europapolitischer Veranstaltungen, die die Regionalvertretung der Europäischen Kommission in München gemeinsam mit der Akademie für politische Bildung und dem Café Luitpold organisiert.
Weitere Informationen:
Aufzeichnung der Veranstaltung vom 1. April bei Twitter
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Einzelheiten
- Datum der Veröffentlichung
- 1. April 2022
- Autor
- Vertretung in Deutschland