Das Europäische Parlament wird in der zweitgrößten demokratischen Wahl der Welt (nur in Indien gibt es noch mehr Wahlberechtigte) alle fünf Jahre direkt gewählt. Die EU-Kommission ist dem Parlament gegenüber voll verantwortlich. Im Ministerrat sitzen Vertreter demokratischer Regierungen der Mitgliedstaaten. Die Europäische Union ist integraler Bestandteil unserer repräsentativen Demokratien. Sie handelt im Auftrag und Interesse der Unionsbürger.
Das Europäische Parlament: die Stimme des Volkes
Der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger hat die Funktionsweise der europäischen Demokratie einmal so beschrieben: „Der ‚europäische Bundestag‘ ist das Europäische Parlament in Straßburg und Brüssel. Der Rat ist im Grunde genommen die zweite Kammer, der ‚europäische Bundesrat‘. In diesem sitzen die Mitgliedstaaten, so, wie die 16 Länder im Bundesrat sitzen. Hinzu kommt der Europäische Rat, der die Richtlinienkompetenz der Staats- und Regierungschefs bündelt. Die Europäische Kommission ist die Geschäftsführung, man könnte sogar sagen die Regierung Europas, die operativ für die Tagesarbeit, genauso wie für Gesetzgebungsvorschläge und den Haushaltsvollzug, verantwortlich ist.“
Die öffentliche Wahrnehmung hat nicht immer Schritt gehalten mit der Fortentwicklung der tatsächlichen Macht des direkt gewählten Europäischen Parlaments. Das Europäische Parlament wird von nationaler Politik und nationalen Parteien, den Medien und manchmal sogar den obersten Gerichtshöfen nicht immer als vollwertiges Parlament anerkannt.
Mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon 2009 hat das EU-Parlament jedoch viel mehr Mitspracherechte erhalten und verabschiedet nun die meisten europäischen Gesetze gleichberechtigt zusammen mit dem Ministerrat. Das Parlament hat auch einige Gesetzesvorhaben gekippt, die die Mitgliedstaaten gerne durchgesetzt hätten: So stoppten die Abgeordneten im Jahr 2010 das umstrittene Swift-Abkommen über die Weitergabe von EU-Bankdaten an die USA und ließen 2012 das geplante Urheberrechtsabkommen Acta durchfallen.
Das Parlament wählt den Präsidenten der Kommission auf Vorschlag des Europäischen Rates, bestätigt zusammen mit dem Rat eine neue Kommission, zieht die Kommission zur Rechenschaft und kann die Kommission mit Zweidrittelmehrheit durch einen Misstrauensantrag zum Rücktritt zwingen.
Europäische Institutionen: geführt von gewählten Politikern, unterstützt von Beamten
Ein Team von Kommissaren, einer aus jedem Mitgliedstaat, bildet die Exekutive der Europäischen Union. Jede nationale Regierung schlägt eine Kandidatin oder einen Kandidaten vor. Das Parlament prüft jeden Kandidaten in jeweils dreistündigen Anhörungen und hat bereits einige Kommissarsanwärter durchfallen lassen. Dann mussten die Regierungen sie ersetzen. Oft sind die Kandidaten ehemalige Minister der nationalen Regierungen oder ehemalige Premierminister.
Die Kommissare werden von einem öffentlichen Dienst unterstützt. Beamte werden im Rahmen offener paneuropäischer Wettbewerbe eingestellt. Wie jeder EU-Mitgliedstaat haben die Europäischen Institutionen einen öffentlichen Dienst. So hat beispielsweise die Europäische Kommission deutlich weniger Personal (32.200 Mitarbeiter)als das Land Berlin (118.400 Mitarbeiter).
„Brüssel hat entschieden, dass...“
Es heißt oft, dass „Brüssel etwas entschieden“ hat – das erweckt den Eindruck, die EU sei ein geheimnisvoller und distanzierter Club. Zwar ist der europäische Entscheidungsprozess hin und wieder langwierig, aber sicher nicht geheim. Die Europäische Kommission schlägt neue Gesetze vor. Nationale Minister, die demokratisch gewählte Regierungen im Ministerrat vertreten, und das demokratisch gewählte Europäische Parlament verhandeln und verabschieden diese Gesetze gemeinsam.
Für jede europäische Verordnung oder Richtlinie haben also deutsche Minister und Abgeordnete ihren Daumen gehoben (oder gesenkt). Amts- und Mandatsträger, die von der Kommission vorgeschlagene Gesetze verabschieden, vertreten die Interessen ihrer jeweiligen Wähler. Manchmal ist es schwierig, einen europäischen Konsens zu finden, aber meistens gelingt es ihnen.
Die Rolle der nationalen Parlamente
Die nationalen Parlamente haben eine formelle Rolle bei der Prüfung von EU-Gesetzesvorschlägen. Wenn sie der Meinung sind, dass ein Kommissionsvorschlag etwas bewirkt, das eher auf nationaler oder lokaler als auf europäischer Ebene behandelt werden sollte, können sie dafür stimmen, dass der Entwurf noch einmal auf den Prüfstand kommt („gelbe Karte“). Seit 2012 wurden drei „gelbe Karten“ ausgegeben. Infolgedessen wurde ein Gesetzesvorschlag zurückgezogen (über das Streikrecht), während zwei weitere beibehalten wurden (die Einrichtung einer Europäischen Staatsanwaltschaft und die Überarbeitung der Richtlinie über entsandte Arbeitnehmer).
EU-Kommissare müssen mehr demokratische Hürden nehmen als Bundesminister
„Es wird oft gesagt, die Kommissare seien nicht gewählt. Meine Gegenfrage lautet: Wissen Sie, wie man Minister in Berlin werden kann?“ So fragt es Günther Oettinger. „Beim letzten Mal waren sich die drei Parteivorsitzenden (…) nach einer langen Nacht, morgens um sieben Uhr einig, welche Partei, welches Ministerium bekommt. Die Parteivorsitzenden haben dann entschieden, wer Minister wird. (…) Der Bundestag wurde gar nicht gefragt, kein Bundestagskollege hat jemals über die Minister abgestimmt. Demgegenüber werden Kommissarsanwärter von einer demokratischen Regierung vorgeschlagen. (…) Darüber hinaus war ich bereits drei Mal für eine Anhörung im jeweiligen zuständigen Fachausschuss im Parlament, um drei Stunden lang Rede und Antwort zu stehen. Nicht jeder Kommissarsanwärter kommt durch, einige werden zurückgewiesen. Am Ende stimmen das Europäische Parlament und der Rat über die gesamte Kommission ab. Im Vergleich zu Bundesministern haben wir also weit mehr demokratische Hürden und Legitimation. Ich weise deswegen den Vorwurf zurück, dass wir nicht demokratisch legitimiert seien. Wir sollten dafür sorgen, dass Europa objektiv dargestellt wird und dass kommuniziert wird, dass Europa viel, auch wenn vielleicht noch nicht ausreichend, demokratische Legitimation hat.“
Spitzenkandidaten für die Europawahl
Mit der Aufstellung von europäischen Spitzenkandidaten haben die Parteien 2014 den Wählern erstmals Gelegenheit gegeben, sich vor der Europawahl mit den jeweiligen Kandidaten für die Kommissionsspitze und den von ihnen vertretenen politischen Programmen vertraut zu machen. So wurde ein direkter Zusammenhang zwischen dem Ergebnis der Europawahl und der Ernennung des Präsidenten der Europäischen Kommission hergestellt.
Die Europäische Kommission tritt für den Ausbau und die Weiterentwicklung dieses Spitzenkandidatensystems ein. Durch die Personalisierung auf europäischer Ebene ist für die Wählerinnen und Wähler der Zusammenhang zwischen der Stimmabgabe für eine nationale Partei und den Auswirkungen dieser Wahl auf die politische Richtung der Europäischen Union leichter zu verstehen. Die Menschen können zwischen alternativen Politikangeboten für Europa entscheiden, anstatt sich mit ausschließlich nationalen politischen Fragen zu befassen.
Zudem könnten transnationale Listen oder Wahlkreise die europäische Dimension der Wahlen weiter stärken. Dies gäbe den Kandidaten die Möglichkeit, sich an mehr Bürger in ganz Europa zu wenden. Andererseits vertreten Parlamentsabgeordnete normalerweise die Wähler, die sie auf örtlicher oder nationaler Ebene gewählt haben. Die Kommission steht der Idee transnationaler Listen aufgeschlossen gegenüber. Dies würde jedoch nicht nur die einstimmige Zustimmung des Rates, sondern auch Änderungen des Wahlrechts in allen Mitgliedstaaten erforderlich machen.
Ein EU-Finanzminister: mehr Rechenschaft der Wirtschaftspolitik
Mit dem Vorschlag für einen europäischen Wirtschafts- und Finanzminister, der gleichzeitig Vizepräsident der Kommission und Vorsitzender der Euro-Gruppe sein könnte, möchte die Kommission die demokratische Rechenschaftspflicht der wirtschaftspolitischen Entscheidungsfindung für die EU und das Euro-Währungsgebiet ausbauen. Denn in der Schuldenkrise haben die nationalen Finanzminister in der Euro-Gruppe über die Stabilisierungsprogramme für Griechenland, Irland und Portugal entschieden, kontrolliert jeweils nur von ihren eigenen nationalen Parlamenten. Ein EU-Finanzminister wäre darüber hinaus künftig gegenüber dem Europäischen Parlament voll rechenschaftspflichtig – einem Parlament, das nicht auf nationale Interessen, sondern eher auf das große Ganze blickt, also das Wohl der gesamten EU und des Euroraums.
Die europäische Demokratie ist also noch nicht vollkommen. Es gibt viele Möglichkeiten, sie weiterzuentwickeln. Aber: Demokratisch ist die EU auf jeden Fall. Kein anderer Kontinent der Welt hat bisher vergleichbar fortgeschrittene Formen der grenzüberschreitenden demokratischen Zusammenarbeit gefunden.
Einzelheiten
- Datum der Veröffentlichung
- 9. Mai 2019
- Autor
- Vertretung in Deutschland