Nr. 27 vom 25. Juli 2024
EU-Nachrichten 25.7.2024: Rechtsstaatlichkeit | Kartellverfahren Lieferdienste | Fahrgastrechte | Ökodesign-Verordnung | Weltraumforschung | nachhaltige Stromspeicher in Niederbayern | Armut | Jahr der Kompetenzen
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Editorial
Liebe Leserinnen, liebe Leser,
In unserem letzten Newsletter vor der Sommerpause befassen wir uns unter anderem damit, was Europa zusammenhält: unsere Werte und da vor allem die Rechtsstaatlichkeit. Dass alle die Regeln auch wirklich einhalten, gehört zum Fundament der EU. Der aktuelle Bericht mit seinen konkreten Bewertungen der 27 Mitgliedstaaten in Sachen Rechtsstaatlichkeit belegt positive Entwicklungen, aber benennt auch klar Bereiche und Länder, in denen sich die Lage sogar verschlechtert hat.
Und ganz aktuell: das allmonatliche “infringement package” wurde heute veröffentlicht, also eine Übersicht über den aktuellen Stand in den Vertragsverletzungsverfahren. Dieses Mal auch mit einigen Entscheidungen zu Deutschland, u.a. verklagt die Kommission Deutschland wegen des bayerischen Systems für Familienleistungen.
Noch ein Hinweis für unsere Medien-Abonnenten: das Midday Briefing in Brüssel, sonst werktäglich um zwölf Uhr, ist ebenfalls im Sommerpausen-Modus: die Kolleginnen und Kollegen des Sprecherdienstes stehen zwei Mal die Woche, dienstags und donnerstags, für Fragen zur Verfügung.
Viele Grüße vom Presseteam der Vertretung der Europäischen Kommission in Berlin. Haben Sie noch eine schöne Woche und erholsame Sommertage! Wir melden uns wieder am 29. August.
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Highlights
Eine unabhängige Justiz, Kampf gegen Korruption, freie und pluralistische Medien, institutionelle Gewaltenteilung – der Bericht über die Rechtsstaatlichkeit 2024 zeigt, dass die EU besser gerüstet ist für die Herausforderungen als noch vor fünf Jahren. Sehr viele Empfehlungen aus dem letzten Jahr wurden umgesetzt, es gibt viele positive Entwicklungen, aber auch weiter Bedenken bei einigen Bereichen und einzelnen Mitgliedstaaten. Hier haben wir den langen Bericht zusammengefasst, mit Links zu den Länderkapiteln versehen. Auch bezogen auf Deutschland gibt es Bereiche, in denen die Kommission keine Fortschritte sieht.
Mobile Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus der EU, die in gleicher Weise zum Sozialversicherungssystem beitragen und dieselben Steuern zahlen wie Einheimische, haben einen Anspruch auf dieselben Sozialleistungen. Dass Bayern das 2018 anders geregelt hat (ähnlich wie zuvor auch Österreich) ist nach Auffassung der Kommission diskriminierend und verstößt gegen EU-Recht. Deswegen verklagt die Kommission Deutschland vor dem Gerichtshof der Europäischen Union. Mehr zu dieser Klage und drei anderen Vertragsverletzungs-Entscheidungen gegen Deutschland hier.
Am Dienstag hat die Kommission ein Kartellverfahren eingeleitet gegen Delivery Hero und Glovo. Es besteht der Verdacht, dass sie gegen Wettbewerbsvorschriften verstoßen haben. Und das zum Nachteil der Verbraucherinnen und Verbraucher. Online-Lieferdienste für Lebensmittel oder Essen sind ein schnell wachsender Wirtschaftszweig. Delivery Hero (an der Frankfurter Börse notiert) kooperiert mit mehr als 500.000 Restaurants, Glovo ist mittlerweile eine Tochterfirma von Delivery Hero und ist aktiv in mehr als 1.300 Städten in 25 Ländern weltweit.
Sommerzeit ist für viele Reisezeit – doch manchmal wird die Vorfreude auf Erholung woanders getrübt: zum Beispiel durch Verspätungen auf der Reise. Eine Eurobarometer-Umfrage ergab, dass viele nicht richtig Bescheid wissen über ihre Fahrgastrechte in der EU, wobei es bei Bahnreisen im Vergleich noch am besten aussieht. In Deutschland haben drei von vier Reisenden im vergangenen Jahr mindestens eine Unterbrechung ihrer Bahnreise erlebt. Die Kommission hat jetzt die Leitlinien für die Umsetzung der Fahrgastrechte überarbeitet, als Unterstützung für die nationalen Behörden und Verkehrsunternehmen. Da geht es auch um die Rechte von Menschen mit Behinderungen und eingeschränkter Mobilität. Details dazu hier. Außerdem hilfreich bei diesem Thema: der Kontakt zum EU-Verbraucherschutzzentrum in Kehl.
Seit einigen Tagen ist die Ökodesign-Verordnung für nachhaltige Produkte in Kraft. Sie soll sicherstellen, dass Produkte länger halten, dass sie Energie und Ressourcen effizienter nutzen, leichter repariert und recycelt werden können und mehr recycelte Materialien enthalten. Oder, wie wir es in unserem Instagram-Post formuliert (und bebildert) haben: “Keep running!” Mehr Details hier.
Den Tag der Weltraumforschung am 20. Juli haben wir zum Anlass genommen, über die Europäische Weltraumorganisation ESA und die großartige Zusammenarbeit der vielen Forscherinnen und Forscher dort zu informieren. Die entsprechende Grafik finden Sie hier. Die ESA wurde im Jahr 1975 gegründet. Inzwischen arbeiten hier 22 Mitgliedstaaten eng zusammen, teilen ihre Ressourcen und verfolgen gemeinsam die Vision “Europa im All”. Ihr Ziel: den Weltraum erforschen und nutzen, und das friedlich und zugunsten aller. Dazu gehört der Bau von Raketen und Satelliten, die ins All gebracht werden; die Ausbildung von Astronautinnen und Astronauten; die Beantwortung der großen wissenschaftlichen Fragen des Universums. Mehr dazu hier.
Weitere Pressemitteilungen zu aktuellen Themen finden Sie hier (Vertretung der Kommission in Berlin) und hier (Presseraum/Sprecherdienst der Kommission in Brüssel). Für unseren täglichen Newsletter kann man sich hier anmelden. Und folgen Sie uns gerne auch auf den sozialen Medien: Facebook, X, Instagram.
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Europa vor Ort
EU-Innovationsfonds fördert Entwicklung/Fertigung nachhaltiger Stromspeicher in Niederbayern
Europas Mehrwert kann Sina Sagstetter gut benennen. Die Mitarbeiterin des Stromspeicherherstellers FENECON im niederbayerischen Deggendorf erklärt: „Die Förderung aus dem EU-Innovationsfonds hat die Entwicklung hier erst so richtig ins Rollen gebracht."
Im Frühjahr dieses Jahres wurde der neue Standort Iggensbach im Landkreis Deggendorf eröffnet. Auf dem rund 24.000 Quadratmeter großen Gelände werden Stromspeichersysteme hergestellt und energiesichere Lösungen für die Zukunft entwickelt. „Eigenheimbesitzer, Solarparkbetreiber oder Industrieunternehmen können so überschüssige Energie einfach zwischenspeichern", erläutert Sina Sagstetter. Wird in Spitzenzeiten zu viel Strom durch Solarzellen oder Windräder produziert, lässt sich die Energie in den Batteriespeichern bunkern und später abrufen. Das Besondere an dem Verfahren: FENECON nutzt für seine groß skalierten Strom-Speichersysteme Lithium-Ionen-Batterien aus der Produktion für E-Autos. Das Unternehmen setzt dabei sowohl neue als auch gebrauchte Akkus ein. Die CarBatteryReFactory verlängert so die Lebensdauer von Batterien, bevor sie recycelt werden. Das schont den Ressourcenverbrauch.
Da die Batterien für die Speicherproduktion nicht auseinandergebaut werden müssen, entsteht nur ein geringer CO₂-Fußabdruck. Fachleute wie Sina Sagstetter sprechen von First- und Second-Life-Batterien. Bei FENECON werden sie kombiniert, mit der hauseigenen Software FEMS optimiert und so zu nachhaltigen Stromspeichersystemen. Der Clou: Sollte die Leistung einmal abfallen, lassen sich einzelne Module einfach austauschen. Das erhöht die Betriebsdauer des Speichers, schont Ressourcen und bedeutet eine wirtschaftliche Wertschöpfung.
CarBatteryReFactory heißt das Projekt, das die EU mit rund 4,5 Millionen Euro fördert. Das Werk ist die derzeit größte europäische Fertigung für Speichersysteme aus Elektrofahrzeugbatterien.
Fördermittel aus dem Emissionshandel
Die Mittel für die Stromspeicherproduktion kommen aus dem EU-Innovationsfonds. Der Fonds wird mit Geldern aus dem EU-Emissionshandelssystem ETS bestückt. Die Idee: Unternehmen müssen für den Ausstoß von Kohlendioxid einen Preis bezahlen. Das schafft Anreize zum Energie- und CO₂-Sparen für die Unternehmen und mit den Einnahmen können innovative Technologien gefördert werden. So wird der Aufbruch in saubere Technologien vorangetrieben – wie bei der CarBatteryReFactory von FENECON. Bis 2030 werden europaweit über den Innovationsfonds insgesamt rund 40 Milliarden Euro eingesetzt, um saubere Technologien und bahnbrechende industrielle Entwicklungen zur Reduzierung des Kohlendioxid-Ausstoßes voranzutreiben.
Das ist Teil der neuen EU-Strategie. Netto-Null-Industrie-Verordnung (Net-Zero Industry-Act – NZIA) heißt eine EU-Initiative, die im Mai 2024 besiegelt wurde. Damit sollen klimaschonende Industrieverfahren in Europa vorangetrieben und sichere Jobs in sauberen Technologien aufgebaut werden – wie bei FENECON in Bayern. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen erklärte zur Bedeutung der neuen Regelung: „Diese Verordnung schafft optimale Voraussetzungen für die Branchen, die für uns von entscheidender Bedeutung sind, wenn wir bis 2050 klimaneutral werden wollen. Angesichts der in Europa und der übrigen Welt steigenden Nachfrage sind wir jetzt so aufgestellt, dass wir den Bedarf in diesem Bereich mit europäischen Kapazitäten besser decken können."
Silicon Valley – aber in Niederbayern
Allein in diesem Jahr werden bei FENECON Speicherkapazitäten mit einer Leistung von 250 MWh gefertigt, erläutert Sina Sagstetter. Die Produktionskapazität in Iggensbach liegt bei 400 MWh pro Jahr. Die Energie für das Werk wird zum Großteil aus eigenen Photovoltaik-Anlagen auf dem Dach sowie an den Fassaden am Standort gewonnen. Zudem sind zwei hauseigene Stromspeichersysteme zur Eigenverbrauchsoptimierung im Einsatz. Beides macht das Werk nachhaltig und autark.
Das Unternehmen bringt einen Hauch von Silicon Valley nach Niederbayern. Firmengründer Franz-Josef Feilmeier, ein technischer Betriebswirt, suchte einst nach einer Lösung, um den Solarstrom vom landwirtschaftlichen Lagerhaus seiner Eltern zwischenzuspeichern. In einer Garage fing 2011 alles an. Heute zählt FENECON über 300 Beschäftigte, ein Drittel am neuen Standort Iggensbach. „Tendenz weiter steigend", sagt Sina Sagstetter. Und ihre eigene Motivation? Da muss sie nicht lange überlegen: „Man arbeitet nicht einfach in irgendeinem Betrieb der Region, sondern in einem innovativen, jungen Unternehmen, das Sinnvolles leistet für eine grüne Zukunft – für alle."
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Europa in Zahlen
Neue Daten von Eurostat für das Jahr 2023 belegen: Fast jeder zehnte Mensch in der EU konnte sich keine richtige Mahlzeit leisten. Als Bezugsgröße wird hier eine Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder einem vegetarischen Äquivalent angelegt, und zwar mindestens an jedem zweiten Tag. Für 9,5 Prozent der Bevölkerung war das im vergangenen Jahr nicht der Fall. Das ist verglichen zum Vorjahr ein Anstieg um 1,2 Prozentpunkte. Darüber hinaus lag der Anteil der von Armut bedrohten Menschen in der EU (Link zur Definition der Armutsgefährdungsrate hier) im vergangenen Jahr bei 22,3 Prozent. Im Jahr zuvor waren es noch 19,7 Prozent gewesen, also auch hier ein Anstieg.
Schaut man in die einzelnen EU-Mitgliedstaaten, so gab es in der Slowakei die meisten armutsgefährdeten Menschen, deren Mahlzeiten eher karg ausfielen: der Anteil lag dort bei 45 Prozent. Es folgen Ungarn (44,9 Prozent) und Bulgarien (40,2 Prozent). Deutschland liegt in der Auflistung mit 27,9 Prozent auf Platz sieben. Den niedrigsten Anteil verzeichnete Irland (4,2 Prozent), gefolgt von Zypern (5,0 Prozent) und Portugal (5,9 Prozent).
Sich jeden zweiten Tag eine Mahlzeit mit Fleisch, Fisch oder einem vegetarischen Äquivalent leisten zu können ist ein Faktor, der im Bereich Haushalt in die Quote der schweren materiellen und sozialen Entbehrung mit einfließt. Das ist einer der Leitindikatoren der europäischen Säule Sozialer Rechte.
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Veranstaltungen
Wir blicken auf ein erfolgreiches Europäisches Jahr der Kompetenzen (EYS) zurück: Europaweit fanden zwischen dem 9. Mai 2023 und dem 8. Mai 2024 mehr als zweitausend Veranstaltungen statt, die sich um die Bedeutung von Umschulungen und Höherqualifizierungen gedreht haben. Ziel des Jahres war es, einerseits Menschen dabei zu helfen, die richtigen Qualifikationen für hochwertige Arbeitsplätze zu bekommen, und andererseits die Unternehmen bei der Suche nach qualifizierten Arbeitskräften zu unterstützen. Anhand von 190 EU-geführten Initiativen zeigte sich die Bedeutung der Kompetenzentwicklung für die Wettbewerbsfähigkeit sowie dem grünen und digitalen Wandel der EU.
Eine Umfrage zur Kommunikation im Rahmen des Europäischen Jahres der Kompetenzen ergab: 53 Prozent der Befragten haben durch die Aktivitäten mehr über die EU-Qualifikationspolitik erfahren, 64 Prozent sind eher bereit, an Weiterbildungskursen teilzunehmen und 72 Prozent geben an, dass das EYS einen positiven Einfluss auf ihr Leben hatte. Weitere Informationen und Ergebnisse hier.
Weitere Veranstaltungen bzw. Termine finden Sie hier in unserem Überblick auf die kommenden Tage (allerdings derzeit wegen der Sommerpause eher übersichtlich). Sie können unsere Terminvorschau auch abonnieren.
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