Das Europäische Parlament und die Mitgliedstaaten im Rat der EU haben am Samstag eine politische Einigung über den neuen EU-Rahmen für die wirtschaftspolitische Steuerung erzielt. Valdis Dombrovskis, Exekutiv-Vizepräsident der Europäischen Kommission, begrüßte die Einigung: „In einer Zeit großer wirtschaftlicher und geopolitischer Herausforderungen sind wir dank der neuen Vorschriften besser aufgestellt, um die neue Realität von heute zu meistern. Gleichzeitig erhalten die EU-Mitgliedstaaten Klarheit und Berechenbarkeit für ihre Haushaltspolitik der kommenden Jahre.
Die Vorschriften werden die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen verbessern und durch die Schaffung von Anreizen für Investitionen und Reformen ein nachhaltiges Wachstum fördern. Dadurch werden sowohl die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der EU als auch die Wirtschafts- und Währungsunion zum Nutzen aller Europäerinnen und Europäer weiter gestärkt.“
Hauptziele
Die Hauptziele des neuen Rahmens sind die Stärkung der Schuldentragfähigkeit der Mitgliedstaaten und die Förderung eines nachhaltigen und integrativen Wachstums in allen Mitgliedstaaten. Sie sollen durch wachstumsfördernde Reformen und vorrangige Investitionen erreicht werden. Durch Förderung des Übergangs zu einer grünen, digitalen, integrativen und widerstandsfähigen Wirtschaft soll die EU wettbewerbsfähiger und besser auf künftige Herausforderungen vorbereitet werden.
Mit den Reformen werden Schwachstellen des derzeitigen Rahmens angegangen. Ziel ist es, den Rahmen einfacher, transparenter und wirkungsvoller zu gestalten und hierfür auf größere nationale Eigenverantwortung und bessere Durchsetzung zu setzen. Dabei wird der Notwendigkeit Rechnung getragen, die – nicht zuletzt aufgrund der COVID-19-Pandemie – gestiegenen öffentlichen Schuldenstände auf realistische Art und Weise, schrittweise und nachhaltig zu senken. Auch stützt sich der neue Rahmen auf die Erkenntnisse, die bei der Finanzkrise gewonnen wurden, als die politischen Maßnahmen der EU zu wenig auf Investitionen abzielten, was eine rasche wirtschaftliche Erholung erschwerte.
Stärkere nationale Eigenverantwortung und mittelfristige Pläne
Mittelpunkt des geänderten Rahmens sind die neuen mittelfristigen strukturellen finanzpolitischen Pläne. Darin werden die Mitgliedstaaten darlegen, welche haushaltspolitischen Ziele, vorrangigen Reformen und Investitionen sowie Maßnahmen zur Behebung etwaiger makroökonomischer Ungleichgewichte sie in einer Anpassungsphase planen.
Die „Anpassungsphase“ bezeichnet den Zeitraum, in dem der Schuldenstand des betreffenden Mitgliedstaats durch eine Kombination aus finanzpolitischen Anpassungen, Reformen und Investitionen auf einen nachhaltigen Abwärtspfad gebracht werden soll.
Diese Pläne werden nach gemeinsamen EU-Kriterien von der Kommission bewertet und vom Rat gebilligt.
Die Zusammenführung von Haushalts-, Reform- und Investitionszielen in einem einzigen mittelfristigen Plan wird dazu beitragen, ein stimmiges und schlankes Verfahren zu schaffen. Die nationale Eigenverantwortung wird gestärkt, indem den Mitgliedstaaten bei der Festlegung ihrer eigenen haushaltspolitischen Anpassungspfade und bei ihren Reform- und Investitionszusagen größerer Spielraum eingeräumt wird. Die Mitgliedstaaten werden jährliche Fortschrittsberichte vorlegen, um eine wirksamere Überwachung und Durchsetzung dieser Zusagen zu erleichtern.
Dieses neue Verfahren der haushaltspolitischen Überwachung wird in das bereits bestehende Europäische Semester eingebettet, das der zentrale Rahmen für die Koordinierung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik bleibt.
Einfachere Regeln, die den unterschiedlichen haushaltspolitischen Herausforderungen Rechnung tragen
Mit dem neuen Rahmen wird eine risikobasierte Überwachung eingeführt, bei der nach der jeweiligen Haushaltslage der einzelnen Mitgliedstaaten differenziert wird.
Das Vorgehen folgt einem transparenten gemeinsamen EU-Rahmen, der durch Schutzvorkehrungen abgesichert ist, um eine allmähliche Rückführung des Schuldenstands zu gewährleisten („Schutzvorkehrung zur Schuldentragfähigkeit“) oder eine Sicherheitsmarge unterhalb des im Vertrag festgelegten Defizit-Referenzwerts von 3 Prozent zu schaffen und so über fiskalische Puffer zu verfügen (Schutzvorkehrung zur Defizitresilienz).
Künftig wird sich die haushaltspolitische Überwachung auf einen einzigen operativen Indikator stützen – die Nettoprimärausgaben – was die haushaltspolitischen Vorschriften vereinfacht.
Für Mitgliedstaaten, deren öffentliches Defizit über 3 Prozent des BIP liegt, oder deren öffentlicher Schuldenstand 60 Prozent des BIP überschreitet, wird die Kommission einen länderspezifischen „Referenzpfad“ vorgeben. Dieser Pfad wird den Mitgliedstaaten bei der Ausarbeitung ihrer Pläne eine Orientierungshilfe geben und sicherstellen, dass der Schuldenstand auf einen plausibel rückläufigen Pfad gebracht oder auf einem dem Vorsichtsgebot entsprechenden Niveau gehalten wird.
Mitgliedstaaten mit einem öffentlichen Defizit von unter 3 Prozent des BIP und einem öffentlichen Schuldenstand von unter 60 Prozent des BIP wird die Kommission auf Anfrage technische Informationen zur Verfügung stellen, um zu gewährleisten, dass das Defizit auch mittelfristig unter dem Referenzwert von 3 Prozent des BIP bleibt.
Förderung von Reformen und Investitionen
Angesichts neuer und bestehender Herausforderungen sind sowohl Reformen als auch Investitionen erforderlich. Beide tragen wesentlich zur Glaubwürdigkeit von Schuldenabbauplänen bei. Der neue Rahmen wird den Mitgliedstaaten bessere Möglichkeiten und größere Anreize zur Durchführung der Maßnahmen geben, die zur Sicherung des ökologischen und digitalen Wandels, zur Stärkung der wirtschaftlichen und sozialen Resilienz und zur Erhöhung der Verteidigungsfähigkeit Europas erforderlich sind.
Bei Mitgliedstaaten, die sich zur Durchführung von Reformen und Investitionen in diesem Sinne verpflichten, wird der Anpassungszeitraum stärker gestaffelt und von vier Jahren auf bis zu sieben Jahre verlängert werden können. Diese Maßnahmen müssen bestimmte Kriterien erfüllen, d. h. insbesondere die im Rahmen des Europäischen Semesters ausgesprochenen länderspezifischen Empfehlungen umsetzen oder auf Verwirklichung bestimmter politischer Prioritäten der EU ausgerichtet sein.
In den nationalen Aufbau- und Resilienzplänen enthaltene Reformen und Investitionszusagen werden in der ersten Planungsrunde bei einer etwaigen Verlängerung des Anpassungszeitraums berücksichtigt.
Bei der Beurteilung, ob ein übermäßiges Defizit vorliegt, wird die Kommission einer Reihe maßgeblicher Faktoren Rechnung tragen. Eine Erhöhung der staatlichen Investitionen im Verteidigungsbereich würde dabei ausdrücklich als ein solcher maßgeblicher Faktor anerkannt. Weitere maßgebliche Faktoren sind der öffentliche Schuldenstand, die Wirtschafts- und Haushaltsentwicklung und die Durchführung von Reformen und Investitionen in den Mitgliedstaaten.
Bessere Durchsetzung
Vorschriften müssen auch durchgesetzt werden. Der neue Rahmen verschafft den Mitgliedstaaten größeren Spielraum bei der Gestaltung ihrer Pläne, sieht aber auch eine strengere Durchsetzung vor, um sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen nachkommen. Die Mitgliedstaaten werden alljährlich einen Bericht über ihre Fortschritte bei der Erfüllung ihrer in den Plänen gemachten Zusagen vorlegen. Diese Fortschritte werden von der Kommission bewertet.
Die Kommission wird ein Kontrollkonto einrichten, um Abweichungen vom vereinbarten haushaltspolitischen Pfad zu erfassen. Überschreitet der Saldo des Kontrollkontos eine numerische Schwelle und liegt der Schuldenstand des Mitgliedstaats bei über 60 Prozent des BIP, so erstellt die Kommission einen Bericht, in dem geprüft wird, ob ein Defizitverfahren eingeleitet werden sollte. Werden vereinbarte Reform- und Investitionszusagen nicht erfüllt, könnte dies dazu führen, dass der Zeitraum der Haushaltsanpassung verkürzt wird. Die Regeln für die Einleitung eines Defizitverfahrens bleiben unverändert.
Nächste Schritte
Das Europäische Parlament und der Rat müssen den Text, auf den sie sich politisch geeinigt haben, nun noch förmlich verabschieden.
Der neue Rahmen wird erstmals nächstes Jahr angewandt – basierend auf den Plänen, die die Mitgliedstaaten im weiteren Jahresverlauf ausarbeiten werden. Dies lässt den Mitgliedstaaten ausreichend Zeit, um ihre Pläne für die kommenden Jahre auszuarbeiten. 2024 wird sich die haushaltspolitische Überwachung auf die bereits im Frühjahr 2023 abgegebenen länderspezifischen Empfehlungen stützen.
Hintergrund
Der Rahmen für die wirtschaftspolitische Steuerung der EU umfasst den haushaltspolitischen Rahmen der Union (den Stabilitäts- und Wachstumspakt und die Anforderungen für die nationalen haushaltspolitischen Rahmen) und das Verfahren bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht, die im Rahmen des Europäischen Semesters für die wirtschaftspolitische Koordinierung umgesetzt werden. Hinzu kommt der Rahmen für makroökonomische Finanzhilfeprogramme.
Den politischen Leitlinien von Präsidentin von der Leyen entsprechend legte die Kommission im Februar 2020 ein Paket zur Überprüfung der Wirksamkeit des Rahmens für die wirtschaftspolitische Überwachung vor und stieß eine öffentliche Debatte über dessen Zukunft an. Bei dieser umfassenden öffentlichen Debatte und Konsultation konnten Interessenträger sich zu den wichtigsten Zielen des Rahmens, seiner Funktionsweise und neuen Herausforderungen äußern. Die dabei vorgebrachten Ansichten flossen in die gesetzgeberischen Reformvorschläge der Kommission ein, die im April 2023 vorgelegt wurden. Im Dezember 2023 hat der Rat ein allgemeines Vorgehen beschlossen. Das Europäische Parlament hat das Mandat des Ausschusses für Wirtschaft und Währung für die Aufnahme von Verhandlungen im Januar 2024 gebilligt. Das Europäische Parlament und der Rat erzielten daraufhin am 10. Februar 2024 eine politische Einigung.
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Einzelheiten
- Datum der Veröffentlichung
- 12. Februar 2024
- Autor
- Vertretung in Deutschland