Die Europäische Kommission hat gestern zwei Beschlüsse zu Ungarn und der Lage der Rechtsstaatlichkeit im Land verabschiedet. Einer bezieht sich auf die zielübergreifenden grundlegenden Voraussetzungen, soweit sie die Justizreform in Ungarn betreffen, der andere auf die Konditionalitätsregelung für den Haushalt. Nach gründlicher Bewertung und wiederholtem Austausch mit der ungarischen Regierung kam die Kommission zu dem Schluss, dass Ungarn die Maßnahmen ergriffen hat, zu denen es sich verpflichtet hat. Deshalb betrachtet die Kommission die auf die EU-Grundrechtecharta bezogene zielübergreifende Voraussetzung nun als erfüllt, soweit die Unabhängigkeit der Justiz betroffen ist. Ein Teil der genannten Mittel wäre somit nicht mehr blockiert, sodass Ungarn nun beginnen kann, Erstattungen in Höhe von bis zu etwa 10,2 Milliarden Euro in Anspruch zu nehmen. Die Mittel, die für Ungarn weiterhin blockiert sind, belaufen sich auf insgesamt 21 Milliarden Euro.
EU-Justizkommissar Didier Reynders betonte: „Meine Dienststellen und ich haben eng mit unseren ungarischen Amtskollegen zusammengearbeitet, um sicherzustellen, dass die Justizreform die Anforderungen, die wir vereinbart hatten, voll erfüllt. Ich freue mich, heute mitteilen zu können, dass wir dieses Ziel erreicht haben. Wir haben ausreichende Gewähr dafür erhalten, dass die Unabhängigkeit der Justiz in Ungarn gestärkt wird. Das Verfahren ist mit dem heutigen Beschluss allerdings noch nicht beendet. Wir werden die Lage weiterhin aufmerksam beobachten und bei Rückschritten frühzeitig reagieren.“
In ihren Beschlüssen vom 22. Dezember 2022 über Mittel aus der Kohäsionspolitik, dem Meeres-, Fischerei- und Aquakulturfonds sowie den Fonds für innere Angelegenheiten für Ungarn hatte die Kommission die Auffassung vertreten, dass Ungarn die auf die EU-Grundrechtecharte bezogene zielübergreifende grundlegende Voraussetzung nicht erfüllte, da mehrere Bedenken, unter anderem bei der Unabhängigkeit der Justiz, bestanden.
Nach gründlicher Bewertung und wiederholtem Austausch mit der ungarischen Regierung kam die Kommission zu dem Schluss, dass Ungarn die Maßnahmen ergriffen hat, zu denen es sich verpflichtet hat.
Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass die grundlegenden Voraussetzungen im gesamten kohäsionspolitischen Finanzierungszeitraum erfüllt sind. Die Kommission wird die Umsetzung der von Ungarn eingeführten Maßnahmen genau und fortlaufend überwachen, insbesondere durch Prüfungen, aktive Zusammenarbeit mit Interessenträgern und in Begleitausschüssen. Sollte die Kommission zu irgendeinem Zeitpunkt der Auffassung sein, dass diese zielübergreifende grundlegende Voraussetzung nicht mehr erfüllt ist, kann sie erneut beschließen, die Finanzierung zu blockieren.
Auf der Grundlage eines Vorschlags der Kommission wurden vom Rat am 15. Dezember 2022 außerdem Maßnahmen verabschiedet, die den Unionshaushalt im Rahmen der Konditionalitätsregelung für den Haushalt vor Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn schützen sollen. Diese Maßnahmen betrafen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn bei der Vergabe öffentlicher Aufträge, in der Strafverfolgung, bei Interessenkonflikten, der Korruptionsbekämpfung und im Zusammenhang mit Trusts von öffentlichem Interesse. Trotz regelmäßiger Gespräche mit Ungarn vertritt die Kommission die Auffassung, dass Ungarn bei den Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, die den Rat im Dezember 2022 zur Verhängung von Maßnahmen veranlasst haben, keine Abhilfe geschaffen hat. Die Kommission ist daher nicht in der Lage, eine Anpassung oder Aufhebung der Maßnahmen gegen Ungarn vorzuschlagen. Dies bedeutet, dass drei kohäsionspolitische Programme mit einer Gesamtmittelausstattung von 6,3 Milliarden Euro nach wie vor ausgesetzt sind und Ungarn derzeit keinen Zugriff auf die Mittel hat.
Ebenfalls am 15. Dezember 2022 wurde der ungarische Aufbau- und Resilienzplan (ARP) vom Rat gebilligt. Ungarn hat sich darin auf 27 sogenannte Super-Etappenziele verpflichtet, die den Schutz der finanziellen Interessen der Union sicherstellen und die Unabhängigkeit der Justiz stärken sollen. Diese „Super-Etappenziele“ sind auch in Ungarns überarbeitetem Plan (vom Rat am 15. Dezember 2023 gebilligt) unverändert enthalten und gelten ebenfalls für das Kapitel zu REPowerEU. Von den 27“„Super-Etappenzielen” des ARP betreffen vier die Unabhängigkeit der Justiz entsprechend den Maßnahmen, die die Kommission gemäß der auf die EU-Grundrechtecharta bezogenen zielübergreifenden grundlegenden Voraussetzung von Ungarn gefordert hat, während 21 „Super-Etappenziele“ mit den Abhilfemaßnahmen im Rahmen der Konditionalitätsregelung für den Haushalt in Zusammenhang stehen. Da die „Super-Etappenziele“ nicht vollständig erreicht wurden, können derzeit keine Auszahlungen für gestellte Zahlungsanträge geleistet werden.
Insgesamt belaufen sich die Mittel, die für Ungarn weiterhin blockiert sind, auf 21 Milliarden Euro.
Reformen im Zusammenhang mit der Unabhängigkeit der Justiz
Um die Mängel zu beheben, die im Rahmen der zielübergreifenden grundlegenden Voraussetzung bei der Unabhängigkeit der Justiz festgestellt wurden, hat Ungarn Rechtsvorschriften eingeführt, durch die die Unabhängigkeit der Justiz erheblich gestärkt wird. Diese Reform entspricht den Verpflichtungen, die Ungarn in seinem Aufbau- und Resilienzplan eingegangen ist.
Am 18. Juli 2023 unterrichtete Ungarn die Kommission über die Erfüllung der auf die Unabhängigkeit der Justiz bezogenen grundlegenden Voraussetzung. Die Kommission musste binnen drei Monaten bewerten, ob dies der Fall war, und forderte im Zuge dieses Verfahrens mehrere Klarstellungen von den ungarischen Behörden an. Nach Eingang von Informationen, die sie für zufriedenstellend erachtete, und gründlicher Bewertung kam die Kommission zu dem Schluss, dass Ungarn die Maßnahmen ergriffen hat, zu denen es sich verpflichtet hat, weshalb die Kommission die auf die EU-Grundrechtecharta bezogene zielübergreifende Voraussetzung nun als erfüllt betrachtet.
Die Maßnahmen zur Stärkung der Unabhängigkeit der Justiz umfassen insbesondere:
- die Ausweitung der Befugnisse des unabhängigen Landesgerichtsrats, um unzulässige Einflussnahme und Ermessensentscheidungen zu begrenzen und eine objektivere und transparentere Verwaltung der Gerichte sicherzustellen;
- die Reform der Funktionsweise des Obersten Gerichts, um das Risiko politischer Einflussnahme zu begrenzen;
- die Abschaffung der Rolle des Verfassungsgerichts bei der Überprüfung rechtskräftiger richterlicher Entscheidungen auf Ersuchen von Behörden und
- die Abschaffung der Möglichkeit des Obersten Gerichts, Fragen zu prüfen, die Richter dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen beabsichtigen.
Trotz der Fortschritte Ungarns bei der Unabhängigkeit der Justiz hält die Kommission im Hinblick auf andere Bereiche, die von der zielübergreifenden grundlegenden Voraussetzung im Zusammenhang mit der EU-Grundrechtecharta erfasst werden, an ihren Bedenken fest. Diese betreffen Ungarns sogenanntes Kinderschutzgesetz, schwerwiegende Bedrohungen der akademischen Freiheit und das Recht auf Asyl. Solange diese Bedenken nicht ausgeräumt sind, bleibt die zielübergreifende grundlegende Voraussetzung unerfüllt, und die Kommission kann die entsprechenden Ausgaben im Rahmen mehrerer Programme nicht erstatten.
Konditionalitätsregelung für den Haushalt
Am 15. Dezember 2022 nahm der Rat einen Beschluss über Maßnahmen zum Schutz des Haushalts der Union vor Verstößen gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit in Ungarn an. Betroffene Bereiche waren die Vergabe öffentlicher Aufträge, die Strafverfolgung, Interessenkonflikte und die Korruptionsbekämpfung.
Zu den genannten Maßnahmen zählten die Aussetzung von Mittelbindungen im Rahmen von drei operationellen Programmen der Kohäsionspolitik in einer Höhe von etwa 6,3 Milliarden Euro. Die Maßnahmen verbieten es auch, im Rahmen von Programmen mit direkter oder indirekter Mittelverwaltung neue rechtliche Verpflichtungen mit sogenannten Trusts von öffentlichem Interesse (und von ihnen unterhaltenen Einrichtungen) einzugehen.
Im heutigen Beschluss werden alle Probleme aufgeführt, bei denen noch Abhilfe notwendig ist. Dazu zählen insbesondere Verbesserungen bei den Befugnissen der Integritätsbehörde, bei Vermögenserklärungen und bei der Situation von Trusts von öffentlichem Interesse.
Erst wenn Ungarn bei den Problemen, die zur Einführung der Maßnahmen geführt haben, Abhilfe schafft und die Kommission entsprechend unterrichtet, kann diese dem Rat die Anpassung oder Aufhebung der Maßnahmen vorschlagen.
Seit der Annahme des Beschlusses durch den Rat am 15. Dezember 2022 hat Ungarn der Kommission jedoch keinerlei Abhilfemaßnahmen förmlich mitgeteilt. Daher hat die Kommission gemäß dem in der Konditionalitätsverordnung festgelegten Verfahren ein Jahr nach Verabschiedung des Ratsbeschlusses die Lage in Ungarn erneut bewertet. Sie kam zu dem Ergebnis, dass das Risiko für den Unionshaushalt seit Dezember 2022 unverändert fortbesteht und die Maßnahmen des Rates nicht angepasst oder aufgehoben werden sollten.
Weitere Informationen:
Partnerschaftsvereinbarung mit Ungarn – 2021-2027
Aufbau- und Resilienzplan Ungarns
Pressekontakt: katrin [dot] ABELEec [dot] europa [dot] eu (Katrin Abele), Tel.: +49 (30) 2280-2140. Mehr Informationen zu allen Pressekontakten hier.
Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern beantwortet das Team des Besucherzentrums ERLEBNIS EUROPA per frageerlebnis-europa [dot] eu (E-Mail) oder telefonisch unter (030) 2280 2900.
Einzelheiten
- Datum der Veröffentlichung
- 14. Dezember 2023
- Autor
- Vertretung in Deutschland