Seit dem 1. Januar 2019 passt Österreich die Familienbeihilfen und einschlägige Steuerermäßigungen, die für Kinder mit Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat ausbezahlt werden, an die Lebenshaltungskosten des betreffenden Mitgliedstaats an. Das bedeutet, dass viele EU-Bürgerinnen und -Bürger, die in Österreich arbeiten und in gleicher Weise Sozialbeiträge und Steuern entrichten wie lokale Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, niedrigere Leistungen erhalten, und zwar allein aus dem Grund, dass ihre Kinder in einem anderen Mitgliedstaat wohnen.
Die EU-Vorschriften über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit erlauben es den Mitgliedstaaten nicht, Geldleistungen für gemäß ihren Rechtsvorschriften versicherte Personen allein aus dem Grund zu verringern, dass sie oder ihre Familienangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Außerdem verbieten sie jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Eine Verringerung von Familienleistungen, die allein auf den Umstand zurückzuführen ist, dass die betreffenden Kinder im Ausland wohnen, verstößt sowohl gegen die EU-Vorschriften über die soziale Sicherheit als auch gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, hinsichtlich sozialer und steuerlicher Vergünstigungen.
Mit der heutigen Übermittlung eines Aufforderungsschreibens an Österreich hat die Europäische Kommission das Vertragsverletzungsverfahren offiziell eingeleitet. Österreich hat nun zwei Monate Zeit, um auf die Anmerkungen der Kommission zu reagieren. Andernfalls kann die Kommission beschließen, eine mit Gründen versehene Stellungnahme zu übermitteln, die zweite Stufe in einem insgesamt dreistufigen Vertragsverletzungsverfahren.
Hintergrund
Die Gewährleistung eines fairen Binnenmarkts ist eine Priorität der amtierenden Kommission. Im Dezember 2016 hat die Kommission eine Überarbeitung der Vorschriften zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit vorgelegt, um sie gerechter, klarer und leichter durchsetzbar zu machen. In dem Vorschlag, der die Freizügigkeit bekräftigt, werden die Rechte der Bürgerinnen und Bürger geschützt und gleichzeitig die einschlägigen Instrumente gegen potenziellen Missbrauch gestärkt. Die EU-Mitgliedstaaten erzielten im Juni 2018 eine Einigung über den Vorschlag. Das Europäische Parlament hat im Dezember 2018 über den Vorschlag abgestimmt.
Im Rat und im Parlament gab es einige Stimmen, die eine Indexierung von Familienleistungen für im Ausland lebende Kinder vorschlugen; diese Vorschläge wurden jedoch eindeutig abgelehnt. Die abschließenden Verhandlungen über einen Kompromiss zwischen den drei Organen („ Triloge“) sind noch im Gange.
Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet jegliche mittelbare oder unmittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit. Der österreichische Indexierungsmechanismus ist diskriminierend, da er zu einer Verringerung der Familienbeihilfen und einschlägiger Steuerermäßigungen für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Österreich führt, nur weil deren Kinder in einem anderen Mitgliedstaat wohnen. Der Umstand, dass die Lebenshaltungskosten in einem solchen Mitgliedstaat niedriger sind als in Österreich, ist für eine Leistung, die als Pauschalbetrag ohne Bezug zu den tatsächlichen Unterhaltskosten für ein Kind ausbezahlt wird, nicht relevant.
Weitere Informationen:
Koordinierung der sozialen Sicherheit in der EU
Zu den wichtigsten Beschlüssen bei den Vertragsverletzungsverfahren vom Januar 2019 MEMO/19/462
Zum Vertragsverletzungsverfahren allgemein MEMO/12/12 oder Infografik
EU-Vertragsverletzungsverfahren
Pressekontakt: Gabriele Imhoff, Tel.: +49 (30) 2280-2820
Anfragen von Bürgerinnen und Bürgern beantwortet das Team des Besucherzentrums ERLEBNIS EUROPA per E-Mail oder telefonisch unter (030) 2280 2900.
Einzelheiten
- Datum der Veröffentlichung
- 24. Januar 2019
- Autor
- Vertretung in Deutschland