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Vertretung in Deutschland
Presseartikel14. Dezember 2021Vertretung in DeutschlandLesedauer: 8 Min

Kommission schlägt Überarbeitung der Schengen-Regeln vor: Kontrollen an Binnengrenzen nur als letztes Mittel

Press conference by Margaritis Schinas, Vice-President of the European Commission, and Ylva Johansson, European Commissioner, on the revision of the Schengen Borders Code

Die Kommission will die Mitgliedstaaten dabei unterstützen, neue Herausforderungen beim Management der gemeinsamen EU-Außengrenzen sowie der Binnengrenzen im Schengen-Raum künftig besser zu bewältigen. Dazu hat sie heute (Dienstag) aktualisierte Vorschriften zur Stärkung des Schengen-Raums vorgeschlagen. Mit der Aktualisierung soll sichergestellt werden, dass die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen nur als letztes Mittel eingesetzt wird. Aufbauend auf den Lehren aus der COVID-19-Pandemie sollen zudem gemeinsame Instrumente für ein effizienteres Management der Außengrenzen im Falle einer Krise im Bereich der öffentlichen Gesundheit eingeführt werden. Die Instrumentalisierung von Migranten ist ebenfalls ein Aspekt, der in den aktualisierten Schengen-Vorschriften sowie in einem parallelen Vorschlag für Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten in den Bereichen Asyl und Rückkehr in einer solchen Situation ergreifen können, behandelt wird.

Der für die Förderung unserer europäischen Lebensweise zuständige Vizepräsident Margaritis Schinas erklärte: „Die Flüchtlingskrise von 2015, Terroranschläge auf europäischem Boden und die weltweite COVID-19-Pandemie haben den Schengen-Raum unter Druck gesetzt. Es liegt in unserer Verantwortung, die Schengen-Governance zu stärken und sicherzustellen, dass die Mitgliedstaaten in der Lage sind, eine rasche, koordinierte und europäische Reaktion auf Krisensituationen zu gewährleisten, und zwar auch in Situationen, in denen Migranten instrumentalisiert werden. Mit den heutigen Vorschlägen werden wir den Schengen-Raum – unser Kronjuwel – stärken. Er versinnbildlicht unsere europäische Lebensweise.“

Die für Inneres zuständige EU-Kommissarin Ylva Johansson fügte hinzu: „Die Pandemie hat sehr deutlich gezeigt, dass der Schengen-Raum für unsere Volkswirtschaften und Gesellschaften von zentraler Bedeutung ist. Mit unseren heutigen Vorschlägen werden wir sicherstellen, dass Grenzkontrollen lediglich als letztes Mittel und nur so lange wie nötig wiedereingeführt werden, und zwar auf der Grundlage einer gemeinsamen Bewertung. Wir geben den Mitgliedstaaten die Instrumente zur Bewältigung der Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, an die Hand. Und wir stellen ein gemeinsames Management der EU-Außengrenzen sicher, und zwar auch in Situationen, in denen Migranten für politische Zwecke instrumentalisiert werden.“

Koordinierte Reaktion auf gemeinsame Bedrohungen

Aufbauend auf den Lehren aus der COVID-19-Pandemie soll mit dem Vorschlag zur Änderung des Schengener Grenzkodexes sichergestellt werden, dass starke Koordinierungsmechanismen zur Bewältigung von Gesundheitsbedrohungen greifen. Die aktualisierten Vorschriften werden es dem Rat ermöglichen, im Falle einer Bedrohung der öffentlichen Gesundheit rasch verbindliche Vorschriften zur Festlegung vorübergehender Reisebeschränkungen an den Außengrenzen anzunehmen. Hierbei finden bestimmte Ausnahmen Anwendung, u. a. für Personen, die aus zwingenden Gründen reisen müssen, sowie für Unionsbürger und -bürgerinnen und Personen mit Wohnsitz in der Europäischen Union. Aufbauend auf den Erfahrungen der vergangenen Jahre wird auf diese Weise eine einheitliche Anwendung der Reisebeschränkungen sichergestellt.

Die Vorschriften umfassen auch einen neuen Schengen-Schutzmechanismus zur Gewährleistung einer gemeinsamen Reaktion an den Binnengrenzen in Bedrohungssituationen, die die meisten Mitgliedstaaten betreffen, z. B. Gesundheitsbedrohungen oder andere Bedrohungen der inneren Sicherheit und der öffentlichen Ordnung. Mit diesem Mechanismus, der den bestehenden Mechanismus mit Blick auf Schwachstellen an den Außengrenzen ergänzt, könnten im Falle einer gemeinsamen Bedrohung mit einem Beschluss des Rates Binnengrenzkontrollen in den meisten Mitgliedstaaten genehmigt werden. In einem solchen Beschluss sollten auch Maßnahmen zur Abmilderung der negativen Auswirkungen der Kontrollen festgelegt werden.

Förderung wirksamer Alternativen zu Kontrollen an den Binnengrenzen

Mit dem Vorschlag soll der Rückgriff auf alternative Maßnahmen, die anstelle von Binnengrenzkontrollen zum Einsatz kommen, gefördert werden. Außerdem soll sichergestellt werden, dass Binnengrenzkontrollen – wenn diese erforderlich sind – nur als letztes Mittel eingesetzt werden. Der Vorschlag umfasst folgende Maßnahmen:

  • Ein klarer strukturiertes Verfahren für die Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen mit mehr Garantien: Derzeit muss ein Mitgliedstaat, der die Wiedereinführung von Kontrollen beschließt, die Angemessenheit der Wiedereinführung sowie die voraussichtlichen Auswirkungen auf den freien Personenverkehr bewerten. Nach den neuen Vorschriften müssen zudem die Auswirkungen auf die Grenzregionen bewertet werden. Ferner sollte ein Mitgliedstaat, der eine Verlängerung der Kontrollen als Reaktion auf vorhersehbare Bedrohungen in Erwägung zieht, zunächst prüfen, ob alternative Maßnahmen wie gezielte Polizeikontrollen und eine verstärkte polizeiliche Zusammenarbeit anstelle von Grenzkontrollen geeigneter wären. Im Falle einer Verlängerung um mehr als sechs Monate sollte eine Risikobewertung erfolgen. Bei Binnengrenzkontrollen, die seit 18 Monaten bestehen, muss die Kommission eine Stellungnahme zu deren Verhältnismäßigkeit und Notwendigkeit abgeben. In jedem Fall sollten vorübergehende Grenzkontrollen einen Gesamtzeitraum von zwei Jahren nicht überschreiten, es sei denn, es liegen besondere Umstände vor. Dies wird dazu beitragen, dass Kontrollen an den Binnengrenzen lediglich als letztes Mittel und nur so lange, wie dies unbedingt erforderlich ist, zum Einsatz kommen.
  • Stärkere Nutzung alternativer Maßnahmen: Im Einklang mit dem neuen EU-Kodex für die polizeiliche Zusammenarbeit, den die Kommission am 8. Dezember 2021 vorgeschlagen hat, wird mit den neuen Schengen-Vorschriften der Rückgriff auf wirksame alternative Maßnahmen, die anstelle von Binnengrenzkontrollen zum Einsatz kommen – d. h. mehr und verstärkte operative Polizeikontrollen in Grenzregionen – gefördert, indem klargestellt wird, dass diese Maßnahmen nicht Grenzübertrittskontrollen gleichkommen.
  • Begrenzung der Auswirkungen von Binnengrenzkontrollen auf Grenzregionen: Aufbauend auf den Lehren aus der Pandemie, die sich auf die Lieferketten ausgewirkt hat, sollten die Mitgliedstaaten, die wieder Kontrollen einführen, Maßnahmen ergreifen, um negative Auswirkungen auf die Grenzregionen und den Binnenmarkt zu begrenzen. Dies kann einen erleichterten Grenzübertritt für Grenzgänger sowie die Einrichtung spezieller Korridore („Green Lanes“) zur Gewährleistung eines reibungslosen Transits wesentlicher Güter umfassen.
  • Verhinderung unerlaubter Reisebewegungen innerhalb des Schengen-Raums: Um dem Phänomen der relativ geringen, aber konstanten Zahl unerlaubter Reisebewegungen entgegenzuwirken, werden die neuen Vorschriften ein neues Verfahren schaffen, um diesem Phänomen im Rahmen gemeinsamer Polizeieinsätze zu begegnen. Ferner sollen die Mitgliedstaaten in die Lage versetzt werden, bestehende bilaterale Rückübernahmeabkommen zu überarbeiten bzw. untereinander neue Abkommen zu schließen. Die neuen Bestimmungen knüpfen an die vorgeschlagenen Maßnahmen des neuen Migrations- und Asylpakets an und ergänzen diese, insbesondere den Rahmen für verbindliche Solidaritätsmaßnahmen.

Unterstützung der Mitgliedstaaten in Situationen, in denen Migranten instrumentalisiert werden

Mit den überarbeiteten Schengen-Vorschriften wird die wichtige Rolle anerkannt, die die Mitgliedstaaten an den Außengrenzen im Namen aller Mitgliedstaaten und für die Union als Ganzes spielen. Es werden neue Maßnahmen eingeführt, die die Mitgliedstaaten in Situationen, in denen Migranten für politische Zwecke instrumentalisiert werden, ergreifen können, um ein wirksames EU-Außengrenzenmanagement zu gewährleisten. Dazu zählen die Begrenzung der Zahl der Grenzübergangsstellen und eine stärkere Grenzüberwachung.

Darüber hinaus schlägt die Kommission zusätzliche Maßnahmen im Rahmen der EU-Asyl- und Rückkehrvorschriften vor, um klarzustellen, wie die Mitgliedstaaten in solchen Situationen unter uneingeschränkter Achtung der Grundrechte reagieren können. So können unter anderem die Registrierungsfrist für Asylanträge um bis zu vier Wochen verlängert und alle Asylanträge – außer wenn medizinische Gründe vorliegen – an der Grenze geprüft werden. Der wirksame Zugang zum Asylverfahren sollte weiterhin gewährleistet sein, und die Mitgliedstaaten sollten humanitären Hilfsorganisationen Zugang gewähren. Die Mitgliedstaaten werden auch die Möglichkeit haben, ein Notverfahren für das Rückkehrmanagement in die Wege zu leiten. Ferner sollten die einschlägigen EU-Agenturen (die Asylagentur der Europäischen Union, Frontex und Europol) den betreffenden Mitgliedstaat auf Ersuchen vorrangig operativ unterstützen.

Nächste Schritte

Die beiden Vorschläge müssen nun im Europäischen Parlament und im Rat geprüft und angenommen werden.

Hintergrund

Der Schengen-Raum umfasst 26 Länder mit einer Bevölkerung von mehr als 420 Millionen Menschen. Die Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen der Schengen-Staaten ist ein integraler Bestandteil der europäischen Lebensweise: Fast 1,7 Millionen Menschen leben in einem Schengen-Staat und arbeiten in einem anderen. Im Berufs- und Familienleben der Menschen nehmen die Freiheiten des Schengen-Raums einen zentralen Platz ein, und täglich pendeln 3,5 Millionen Menschen zwischen Schengen-Staaten.

Um die Resilienz des Schengen-Raums gegenüber ernsthaften Bedrohungen zu stärken und die Schengen-Vorschriften an die sich wandelnden Herausforderungen anzupassen, kündigte die Kommission in ihrem im September 2020 vorgelegten neuen Migrations- und Asylpaket sowie in ihrer Strategie für einen reibungslos funktionierenden und resilienteren Schengen-Raum vom Juni 2021 eine Überarbeitung des Schengener Grenzkodexes an. In ihrer Rede zur Lage der Union 2021 kündigte Präsidentin von der Leyen auch neue Maßnahmen an, um der Instrumentalisierung von Migranten für politische Zwecke ein Ende zu bereiten und ein gemeinsames Vorgehen beim Management der EU-Außengrenzen zu gewährleisten.

Die heutigen Vorschläge ergänzen die laufenden Arbeiten zur Verbesserung der allgemeinen Funktionsweise und Governance des Schengen-Raums im Rahmen der Strategie für einen reibungslos funktionierenden und resilienten Schengen-Raum. Um den politischen Dialog über die Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen zu fördern, beruft die Kommission regelmäßig Schengen-Foren ein, an denen Mitglieder des Europäischen Parlaments sowie die Innenministerinnen und -minister teilnehmen. Zur Unterstützung dieser Gespräche wird die Kommission jedes Jahr einen Schengen-Statusbericht vorlegen, der eine Zusammenfassung der Lage beinhaltet, was den kontrollfreien Verkehr an den Binnengrenzen, die Ergebnisse der Schengen-Evaluierungen und den Stand der Umsetzung der einschlägigen Empfehlungen betrifft. Dies wird auch dazu beitragen, die Mitgliedstaaten bei der Bewältigung etwaiger Herausforderungen zu unterstützen. Die vorgeschlagene Überarbeitung des Schengener Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus, über die derzeit im Europäischen Parlament und im Rat beraten wird, wird dazu beitragen, das gemeinsame Vertrauen in die Anwendung der Schengen-Vorschriften zu stärken. Darüber hinaus hat die Kommission am 8. Dezember einen EU-Kodex für die polizeiliche Zusammenarbeit vorgeschlagen, um die Zusammenarbeit aller Mitgliedstaaten bei der Strafverfolgung zu verbessern. Diese Zusammenarbeit, die ein wirksames Mittel zur Bewältigung von Sicherheitsbedrohungen im Schengen-Raum darstellt, wird zur Aufrechterhaltung eines Raums ohne Kontrollen an den Binnengrenzen beitragen.

Der heutige Vorschlag zur Überarbeitung des Schengener Grenzkodexes ist das Ergebnis enger Konsultationen mit den Mitgliedern des Europäischen Parlaments und den Innenministerinnen und -ministern im Rahmen des Schengen-Forums.

Weitere Informationen:

Vollständige Pressemitteilung: Schengen: Neue Vorschriften für einen resilienteren Raum ohne Kontrollen an den Binnengrenzen

Rechtsvorschriften:

Vorschlag für eine Verordnung zur Änderung der Vorschriften für das Überschreiten der Grenzen durch Personen

Vorschlag für eine Verordnung zur Bewältigung von Situationen der Instrumentalisierung im Bereich Migration und Asyl

Fragen und Antworten

Informationsblatt

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Einzelheiten

Datum der Veröffentlichung
14. Dezember 2021
Autor
Vertretung in Deutschland